Die Flucht in die Flasche
- Meli
- 29. Jan.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 30. Jan.

Ich dachte immer, ich hätte mein Leben im Griff. Ich war eine gute Mutter, eine zuverlässige Kollegin, eine Freundin, die für andere da war. Ich funktionierte. Und doch gab es diesen Moment am Abend, wenn die Welt für einen Moment stillstand und sich eine beklemmende Leere in mir ausbreitete. Ein Glas Wein half. Es ließ mich abschalten, ließ die Sorgen verschwimmen, die Gedanken leiser werden. Anfangs war es harmlos. Ein Glas nach der Arbeit, um „runterzukommen“. Ein zweites, weil der Tag so anstrengend gewesen war. Bald schon wurde es zur Gewohnheit - eine, die ich mir selbst schönredete. „Jeder trinkt doch mal ein Glas zum Entspannen“, sagte ich mir. „Ich habe das im Griff.“ Doch das Glas wurde zur Flasche, die Flasche zu zwei. Und irgendwann wurde der Alkohol nicht mehr nur zur Abendroutine - er begleitete mich schon beim Kochen, dann beim Aufräumen, dann auch beim Mittagessen an freien Tagen. Ich belog mich selbst: „Ich kann jederzeit aufhören.“ Aber ich tat es nicht.
Die Lügen, die man sich erzählt
Mein Spiegelbild wurde mir fremd. Mein Gesicht aufgedunsen, meine Augen müde und glanzlos. Aber es war nicht nur mein Aussehen - es war dieses nagende Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Dass ich nicht mehr die Frau war, die ich sein wollte. Dass ich mich verlor. Doch die Wahrheit ist: Man merkt nicht immer, wann man fällt. Man merkt nur, wenn man aufschlägt. Ich weiß nicht, wann genau ich meine Kontrolle verlor. War es, als ich das erste Mal morgens einen Schluck nahm, „nur um den Tag zu überstehen“? War es, als ich anfing, Flaschen zu verstecken, damit niemand meine Mengen sehen konnte? War es, als ich Freunde vertröstete, Einladungen ablehnte, mich in mein eigenes, betäubtes Gefängnis zurückzog? Vielleicht war es alles zusammen. Vielleicht war es auch dieser eine Abend, an dem ich vergaß, das Abendessen für meinen Sohn zu machen, weil ich zu betrunken war. Oder der Morgen danach, als ich mit dröhnendem Kopf aufwachte und er mich mit großen Augen ansah - so anders als sonst.
Der Wendepunkt
„Mama, warum bist du immer so müde?“ Seine Stimme war so klein, so unschuldig. Und doch trafen mich diese Worte wie ein Faustschlag in den Magen. Ich konnte ihn nicht anlügen. Konnte nicht sagen, dass alles in Ordnung war. Denn es war nicht in Ordnung. Ich war nicht in Ordnung. Ich weiß nicht, wie lange ich einfach nur dagesessen habe, unfähig zu antworten, mit brennenden Augen und brüchigem Atem. Aber in diesem Moment wusste ich eines: Wenn ich so weitermache, verliere ich nicht nur mich selbst. Ich verliere ihn. Also suchte ich Hilfe.
Der Kampf zurück
Der Entzug war die Hölle. Mein Körper schrie nach dem Alkohol, mein Geist flehte um Betäubung. Die ersten Nächte konnte ich kaum schlafen, meine Gedanken rasten, mein Körper zitterte. Aber ich blieb. Ich hielt durch. Ich lernte, mich meinen Dämonen zu stellen, ohne sie im Alkohol zu ertränken. Ich lernte, mir selbst zu vergeben. Es war kein leichter Weg. Es gab Tage, an denen ich glaubte, ich würde es nicht schaffen. Tage, an denen ich kurz davor war, wieder zu greifen. Doch dann hörte ich seine Stimme in meinem Kopf: Mama, warum bist du immer so müde? Heute bin ich 14 Monate trocken. Ich wache morgens auf und sehe mich im Spiegel. Ich sehe mich wirklich. Mein Blick ist klar, mein Lächeln echt. Ich bin wieder da. Und ich bin stolz. Denn jeder Tag, an dem ich nicht zur Flasche greife, ist ein Tag, an dem ich mich selbst wähle. Ein Tag, an dem ich lebe.
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